Einfach unfair – warum die AfD-Steuerreform die Falschen entlastet

Die AfD will Deutschland steuerlich „befreien“ – mit einer Flat Tax von 22 Prozent. Was nach Vereinfachung klingt, wäre für Millionen Bürger ein Verlustgeschäft. Besonders für die, die arbeiten, Familien gründen und jeden Monat rechnen müssen.

Einheitlich für alle – klingt gerecht, ist es aber nicht

Die AfD nennt ihren Plan eine „grundlegende Steuerreform zur Entlastung von Familien, Mittelstand und Unternehmen“.
Der Vorschlag sieht vor, alle bisherigen Einkommen- und Unternehmenssteuern in einer einzigen „Ertragsteuer“ zusammenzufassen – mit einem einheitlichen Steuersatz von 22 Prozent, zu dem Kommunen bis zu 3 Prozent Zuschlag erheben dürfen.

Damit würde jede Einkommensart gleich behandelt: Arbeit, Kapital, Gewinne, Zinsen.
Im Gegenzug sollen der Solidaritätszuschlag, die Gewerbesteuer und langfristig auch die Erbschaft- und Grundsteuer wegfallen.

Das klingt einfach – aber einfach ist nicht gleich gerecht.

Zahlencheck: Wer profitiert, wer verliert

EinkommensartHeutige BelastungAfD-Modell (22–25 %)Veränderung
Arbeitnehmer mit 40.000 €ca. 18 % effektivca. 22 %+4 %
Ehepaar mit 2×40.000 € und 2 Kindernca. 16 %ca. 8 %–8 %
Unternehmer (Gewinn 1 Mio. €)ca. 30 %25 %–5 %
Konzern (Gewinn 100 Mio. €)effektiv oft 10–18 %25 %±0 % (je nach Gestaltung)
Rentnerin mit 24.000 €ca. 4 %ca. 10 %+6 %

(Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis OECD- und Bundesfinanzdaten, 2024/25)

Die vermeintliche „Entlastung“ konzentriert sich also auf Familien mit höheren Einkommen und Unternehmer.
Ein Single, ein Rentner oder eine Alleinerziehende mit kleinem Gehalt zahlt dagegen künftig mehr.

Der Mittelstand als Feigenblatt

In der Begründung des Antrags betont die AfD, Deutschland sei ein „Hochsteuerland“ und brauche dringend Entlastung für seine Wirtschaft.
Dabei liegt die reale Unternehmenssteuerquote hierzulande laut ZEW Mannheim bei 28,5 %, also rund zehn Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt.
Aber: Das gilt für Konzerne genauso wie für kleine Betriebe.

Das Problem ist nicht der Steuersatz, sondern die Bürokratie – und genau hier bietet der AfD-Vorschlag keine realistische Lösung.
Denn die Abschaffung der Gewerbesteuer würde den Kommunen Milliarden entziehen.
Städte und Gemeinden erhielten als Ersatz eine ungetestete „Gemeindewirtschaftsteuer“.
Ob die wirklich trägt, ist offen – viele Fachleute bezweifeln das.

Für kleine und mittlere Betriebe bedeutet das: weniger Infrastruktur, längere Genehmigungsverfahren, schlechtere Anbindung – kurz gesagt: mehr Probleme, nicht weniger.

Familien im Mittelpunkt – aber nicht alle

Die AfD verspricht, Familien „konsequent zu entlasten“.
Vorgesehen sind hohe Freibeträge: 15.000 € pro Erwachsenem und 12.000 € pro Kind.
Doch Freibeträge wirken nur, wenn genug Einkommen da ist, um sie auszuschöpfen.
Eine Familie mit geringem Einkommen profitiert also kaum – eine wohlhabende umso stärker.

Beispiel:
Eine Familie mit zwei Kindern und 80.000 € Jahreseinkommen zahlt nach AfD-Modell etwa 6.500 € Steuern.
Eine Familie mit 40.000 € Einkommen zahlt dagegen gar nichts weniger, weil sie ohnehin unterhalb der Freibetragsgrenze liegt.

Das Konzept wirkt also wie eine Familienförderung, ist aber in Wahrheit eine Belohnung für hohe Einkommen.

Verlustgeschäft für Rentnerinnen, Singles und Arbeitnehmer

Für Arbeitnehmer ohne Kinder fällt die Entlastung bescheiden aus – teils kehrt sie sich sogar ins Gegenteil.
Da der progressive Tarif entfällt, zahlen alle denselben Satz.
Ein Beispiel zeigt, wie ungerecht das ist:

  • Single mit 45.000 € Jahresbrutto
    • Heute: ca. 9.400 € Einkommensteuer
    • AfD-Modell: ca. 10.800 €
    • Mehrbelastung: rund 1.400 € pro Jahr

Für Rentnerinnen wird es noch deutlicher:
Da Renten künftig voll versteuert würden (ohne Rentenfreibetrag), müsste eine alleinstehende Frau mit 2.000 € Rente im Monat erstmals nennenswert Steuern zahlen.
Wer sein Leben lang gearbeitet hat, würde also mehr an den Staat abgeben – während Kapitalerträge und Unternehmensgewinne entlastet werden.

Kommunen als größte Verlierer

Heute nehmen Städte und Gemeinden rund 70 Milliarden Euro im Jahr aus der Gewerbesteuer ein.
Nach AfD-Plänen sollen sie diese Einnahmen durch Zuschläge zur Einkommensteuer ersetzen.
Doch gerade dort, wo viele Menschen wenig verdienen – also in strukturschwachen Regionen – wären die Einnahmen deutlich geringer.

Das Ergebnis:

  • weniger Investitionen in Straßen, Schulen und Kitas,
  • drohende Haushaltsnotlagen,
  • sinkende Lebensqualität in Regionen, die schon jetzt abgehängt sind.

Damit trifft die Reform ausgerechnet jene Gegenden, in denen die AfD bei Wahlen besonders stark abschneidet.

Alternative: Vereinfachen, aber gerecht

Dass das deutsche Steuersystem kompliziert ist, steht außer Frage.
Doch eine sinnvolle Reform müsste die Bürokratie abbauen, Arbeitseinkommen entlasten und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit sichern.

Ökonomen schlagen stattdessen folgende Elemente vor:

  • höhere Grundfreibeträge (bis 15.000 €),
  • ein sozial gestaffeltes Kindergeld oder eine steuerpflichtige Kindergrundsicherung,
  • vereinfachte Steuererklärung mit automatischer Datenerfassung,
  • Investitionsanreize für Mittelstand und Handwerk statt pauschaler Steuersenkungen.

Damit ließe sich die Steuererhebung vereinfachen, ohne den sozialen Ausgleich aufzugeben.

Fazit: Einfachheit darf nicht zur Einseitigkeit werden

Die AfD präsentiert ihre Steuerpläne als Befreiungsschlag gegen Bürokratie und Staatsverschwendung.
In der Praxis wäre es ein Umverteilungsprogramm von unten nach oben.
Menschen mit normalen Einkommen, Rentnerinnen, Alleinerziehende und kleine Betriebe würden draufzahlen.

Deutschland braucht Reformen – keine Frage.
Aber Reformen, die die Mitte stärken, nicht die Extreme.
Ein gerechtes Steuersystem muss entlasten, ohne auszuhöhlen.
Denn wer alles vereinfacht, macht am Ende vieles kaputt – vor allem den Zusammenhalt.

Zahlen & Fakten

KategorieDeutschland heuteAfD-VorschlagVeränderung
Staatliche Steuereinnahmen (2024)948 Mrd. €– bis zu 100 Mrd. €massive Verluste
Gewerbesteuer (Kommunen)70 Mrd. €entfälltEinnahmeausfall
Durchschnittliche Steuerbelastung Arbeitnehmer19–22 %22–25 %leicht höher
Steuerbelastung Top-10 % Einkommen38–45 %25 %stark niedriger
Rentneranteil mit Steuerpflicht38 %> 70 %deutlich höher

(Quellen: OECD, ZEW Mannheim, Bundesfinanzministerium, AfD-Antrag 21/589)