Wir erben uns arm

Deutschland steht vor einer Herausforderung, die uns alle betrifft – ob Unternehmer, Angestellter oder Familienvater: die unkontrollierte Vermögensweitergabe durch Erbschaften. Jahr für Jahr werden Milliarden an Vermögen steuerfrei oder zu minimalen Steuersätzen vererbt. Während eine kleine Elite ihren Wohlstand sichert, werden der Mittelschicht und der Wirtschaft entscheidende Ressourcen entzogen. Es ist Zeit, das deutsche Erbrecht kritisch zu hinterfragen – im Interesse unseres Landes und seiner Zukunft.
Der deutsche Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft, gerät ins Wanken. Deutschland rühmt sich, eine stolze Mittelschicht zu haben, die für Innovation, Stabilität und Arbeitsplätze sorgt. Doch genau dieser Mittelstand wird durch das aktuelle Erbrecht systematisch geschwächt. Wie? Indem unregulierte Erbschaften die Vermögensverteilung immer weiter verzerren. Die reichsten 10 % der Bevölkerung besitzen über 60 % des gesamten Vermögens – eine Zahl, die dank großzügiger Freibeträge und Steuerschlupflöcher weiter steigt. Diese Entwicklung ist nicht nur unfair, sondern gefährlich. Denn ohne einen starken Mittelstand wird Deutschland anfälliger für wirtschaftliche Krisen und soziale Spannungen. Wer sein Leben lang hart arbeitet, zahlt jeden Monat Steuern und Abgaben. Doch wer Millionen erbt, bleibt oft verschont. Im Jahr 2022 wurden laut Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) etwa 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt – ein Rekordwert. Davon wurden nur rund 11 Milliarden Euro versteuert. Das bedeutet, dass der Staat auf über 97 % dieser Vermögen keinen Zugriff hatte. Gelder, die dringend für den Ausbau von Infrastruktur, Schulen oder die soziale Sicherheit benötigt würden.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass unkontrollierte Vermögensanhäufung fatale Folgen haben kann. Im 19. Jahrhundert führte die immense Konzentration von Landbesitz in der Hand weniger Adelsfamilien in Frankreich zu wirtschaftlicher Stagnation und sozialem Unmut. In den USA der 1920er-Jahre entstand eine „Gilded Age“, in der wenige Magnaten das gesamte Wirtschaftssystem dominierten – bis zur großen Depression, die Millionen in Armut stürzte. Deutschland könnte vor einer ähnlichen Entwicklung stehen. Wenn Vermögen innerhalb weniger Familien dynastisch gehortet wird, leidet die Innovationskraft der Gesellschaft. Denn es sind oft junge Unternehmer und der Mittelstand, die für Fortschritt sorgen – nicht diejenigen, die durch Erbschaften in den Wohlstand geboren werden.
Das derzeitige Erbrecht bevorzugt eine kleine Elite und belastet den Rest der Gesellschaft. Mit großzügigen Freibeträgen von bis zu 500.000 Euro pro Kind und niedrigen Steuersätzen für hohe Erbschaften wird das System als vermeintlich „familienfreundlich“ verkauft. Doch in Wahrheit schützt es vor allem diejenigen, die ohnehin schon mehr als genug haben. Die Aussetzung der Reichensteuer war ein weiterer Schlag ins Gesicht der hart arbeitenden Bürger. Während der Staat angeblich „keine Mittel“ für notwendige Investitionen hat, wird die Last auf den Schultern derer abgeladen, die täglich zur Arbeit gehen. Eine gerechte Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften könnte Milliarden einbringen, um Deutschland widerstandsfähiger und gerechter zu machen.
Es geht nicht darum, Familien zu bestrafen oder Erbschaften grundsätzlich zu verteufeln. Es geht darum, dass jeder seinen fairen Beitrag zum Wohlstand des Landes leistet. Eine stärkere Besteuerung großer Erbschaften, gepaart mit gezielten Investitionen in Bildung, Infrastruktur und soziale Sicherheit, würde Deutschland auf Jahre hinaus stärken. Denn letztendlich profitieren wir alle von einer Gesellschaft, in der Chancen nicht vererbt, sondern verdient werden. Es liegt in unserer Verantwortung, Deutschland vor einem Erbrecht zu schützen, das soziale Spaltung und wirtschaftliche Schwäche zementiert. Es ist Zeit, sich für ein gerechteres System einzusetzen – für die Zukunft unseres Landes und die kommenden Generationen.